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Triumph
der Technik – Tragödie der Politik:
Die Maginotlinie

> Die
Zitadelle von Bitche
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(Un)sichere Grenze
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Ouellen
> Plus jamais ça! Nie wieder Krieg! |
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Die Zitadelle von Bitche |
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So uneinnehmbar
wie die Zitadelle von Bitche im Jahre 1870, so unüberwindlich
sollte die Kette von modernsten Festungen an der Ostgrenze Frankreichs
werden, die den Namen des französischen Verteidigungsminister
André Maginot erhielt, in dessen Amtszeit der Beginn
der Bauarbeiten an der Verteidigungslinie fiel (1929).
Vorentscheidungen
dafür waren in der französischen Regierung seit 1925
getroffen worden und durchaus politisch brisant, da dieses Projekt
auf dem Höhepunkt der deutsch-französischen Verständigungspolitik
unter den Außenministern Stresemann und Briand in Gang
gesetzt wurde: Traute man dem Frieden nicht? Verhandlungen sind
gut, Verteidigung ist besser, war die Devise.
Zweimal war es den Deutschen gelungen, im Krieg tief nach Frankreich
einzudringen, das erste Mal hatten sie Frankreich besiegt (1870/71),
das zweite Mal (1914-18) beinahe. Dass Napoleon III. sich 1870
von Bismarcks berühmter „Emser Depesche“ hatte
zum Krieg gegen Preußen provozieren lassen und die Kriegsschuldfrage
1870 also eine andere war als 1914, wird in Frankreich gerne
kleingeschrieben. So auch in der sehr „patriotisch“
gestimmten Multimedia-Show in den Räumen der Zitadelle,
die wir besichtigt haben.
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(Un)sichere Grenze |
Jedenfalls
verspürten die Franzosen nach dem 1. Weltkrieg ein enormes
Sicherheitsbedürfnis. Deswegen hat Frankreich im Versailler
Vertrag 1919 eine massive Abrüstung Deutschlands und weitere
Sicherheitsmaßnahmen durchgesetzt:
die Entmilitarisierung des Rheinlands bis zu einer Linie 50
km östlich des Flussverlaufs sowie die Präsenz französischer
Truppen im Rheinland, die allerdings ab Ende der 20er Jahre
abgebaut wurde. 1929 war Deutschland für Frankreich keine
Gefahr, 1939 war es wieder eine. Wie schon zu Zeiten Ludwigs
XIV., als die Zitadelle von Bitche erbaut wurde, setzte Frankreich
auf die militärische Absicherung an den Grenzen seines
(zurück-) eroberten Gebietes.
In Deutschland sahen jedoch nicht nur die Nazis, sondern auch
der „national orientierte“ durchschnittliche Geschichtslehrer
die deutsch-französische „Erbfeindschaft“ als
seit Jahrhunderten andauernde Ausdehnung Frankreichs nach Osten
zu Lasten Deutschlands. Nach der Errichtung des NS-Regimes wurde
diese Sicht der Dinge, die geschickt die reale historische Entwicklung
ideologisch vereinnahmte, zur offiziellen Sicht erklärt
und bis dahin eingeleitete deutsch-französische Schulbuchgespräche
zum Abbau der gegenseitigen Feindbilder eingestellt.
Der nationalistisch deutsche Blick auf die Grenze zeigte sich
nicht nur auf der Seite 86 im Putzger Atlas der Weltgeschichte
von 1934 (siehe unten links
Abb. 1), sondern z.B. auch in einem Erdkundebuch
(siehe unten rechts Abb.
2), in dem die Expansion Frankreich durch die „Ausfalltore“
nach Osten zwischen den Bergketten veranschaulicht wurde; dem
gegenüber gestellt wurde ein Vergleich der Bevölkerungsdichte
Deutschlands und Frankreichs: Das bevölkerungsarme Frankreich
hatte, so wird hier suggeriert, dem deutschen „Volk ohne
Raum“ noch lebensnotwendige Gebiete weggenommen. Entsprechend
geht auch der Text auf den angeblichen „rassischen Verfall“
des französischen Volkes ein.
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Abb. 1, links: Seite aus Putzger Historischer
Weltaltas, 1934
Abb. 2, rechts: Seite aus Heimat und Welt – Teubners Erdkundliches
Unterrichtswerk für höhere Schulen, Bd.2: Europa, 1939.
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Plus
jamais ça!
Nie wieder Krieg! |
Die
farbigen Gebiete (links als Beispiel das Elsass) markieren
erworbene und eroberte Gebiete Frankreichs seit 1300.
Historische Wahrheit ist jedoch nicht nur, dass Frankreich
seit dem Mittelalter seine Ostgrenze vom Oberlauf der Maas
bis an den Rhein vorgeschoben hatte, also um ca. 150 km, sondern
auch Deutschland seine Ostgrenze von der Elbe an die Memel,
um ca. 900 km, was natürlich nicht als Eroberung verurteilt,
sondern als „Kolonisation“ gerühmt wurde.
Mit Ausnahme des Elsass und eines kleinen Teils Lothingens
(also in etwa dem 1871-1918 deutschen Elsass-Lothingen) lebte
in den von Frankreich eroberten Ostprovinzen eine französischsprachige
Bevölkerung, während sich die Deutschen seit dem
Mittelalter erst über die Elbe nach Osten ausbreiteten
(sog. Ostkolonisation) und dort ansässige slawische Völker
vertrieben, ausrotteten oder unterwarfen.
Plus jamais ça! Nie wieder Krieg !
Nach der Errichtung der NS-Diktatur sah sich Frankreich in
seinen Verteidigungsplänen bestätigt. In weiten
Bevölkerungskreisen, v.a. aber in der damals regierenden
Linken und in den Gewerkschaften, herrschte eine pazifistische
Stimmung des „Plus jamais ça!“, die in
eine rein defensive Verteidigungspolitik mündete, für
die die Maginotlinie wie ein Symbol steht. Diese defensive
Einstellung führte zur Appeasement-Politik gegenüber
Hitler und ließ die deutsche Aufrüstung und Kriegsvorbereitung,
den Anschluss Österreichs und die Zerschlagung der Tschechoslowakei
gewähren.
Ein hoher französischer Offizier namens Charles de Gaulle,
der 1940 zum Widerstand gegen die deutsche Besatzung aufrief
und nach dem Krieg französischer Präsident wurde,
mahnte früh die Notwendigkeit einer entsprechenden Modernisierung
der Armee an, v.a. mit Panzern. Doch nicht nur daran wurde
gespart, selbst die Maginotlinie war aus finanziellen Gründen
nicht rechtzeitig fertig, als sie gebraucht wurde, und mit
Belgien war man sich über eine gemeinsame Verteidigung
nicht einig geworden. 1940 wurde die Maginotlinie von der
deutschen Armee nördlich über Belgien umgangen –
fast eine Wiederholung des Angriffs aus dem 1. Weltkrieg (Schlieffen-Plan)
– sowie über die irrtümlich als natürliches
Hindernis eingeschätzten Bergrücken der Argonnen.
Die
Festungen der Maginotlinie waren technisch perfekt gegen alles
gewappnet: Artilleriebeschuss, Belagerung, Giftgaseinsatz,
ja sogar für den Fall des Eindringens in die Anlagen
selbst waren Vorkehrungen getroffen. Alle für den Betrieb
notwendigen Maschinen, v.a. die Dieselaggregate zur Stromerzeugung,
waren doppelt vorhanden (ein Aggregat in Reserve), die Festungen
mitsamt ihrer Besatzung für Monate autark mit Energie
und Lebensmitteln versorgt.
Alle Eventualitäten hatte man vorgesehen, nur nicht,
dass erneut der Feind an anderer Stelle durchbrechen und die
Entscheidung nicht an der Grenze, sondern im Landesinneren
fallen würde. Es trat somit genau das ein, was die Maginotlinie
eigentlich verhindern sollte...
Nach dem von Marschall Pétain unterschriebenen Waffenstillstand
im Juni 1940 mussten viele Festungen wie der Simserhof bei
Bitche unbesiegt aufgeben, teils nach heftigen Kämpfen
gegen die deutsche Armee, die sie zuletzt von hinten angriff.
1870 hatte auch die Zitadelle unter schwierigsten Bedingungen
stand gehalten, doch damals wie 1940 hatte dies die Fehler
der Politik nicht wettmachen können.
Im Gegenteil: mit der Illusion in die eigene Sicherheit hatte
sich Frankreich in Europa isoliert und Hitler so lange das
Feld überlassen, bis der europäische Krieg nicht
mehr zu vermeiden war. Doch noch die französische Kriegserklärung
an Deutschland als Beistand für das überfallene
Polen half den Polen selbst nichts; wegen der militärischen
Unfähigkeit, offensiv Hitlers Eroberungsplänen in
die Arme fallen zu können, warteten die Franzosen hinter
ihrer Maginotlinie, bis Hitler Polen erobert hatte und nach
dem gegen die Engländer gewonnenen Skandinavienfeldzug
den Westfeldzug eröffnete: In einem Streich wurden die
Niederlande, Belgien und Luxemburg und schließlich Frankreich
im Blitzkrieg niedergeworfen.
Der französische Historiker Marc Bloch, der als Soldat
an der Verteidigung Frankreichs teilnahm, hat in seinem Buch
L’étrange défaite (Die seltsame Niederlage)
anschaulich geschildert, wie die deutsche Wehrmacht Frankreich
überrollte. Mobilität siegte über Statik, Angriff
über Verteidigung. Die Maginotlinie repräsentiert
einen Triumph der Technik und zugleich eine Tragödie
der Politik.
W. Geiger
PS: Das Foto oben zeigt eine Innenaufnahme der Maginotlinie
(Fort Casso): schweres Maschinengewehr.
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Webteam, 28.09.2003
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